»Was fur eine Uberraschung, Sie hier zu sehen, Professor McGonagall.«
Mit einem Lacheln wandte er sich zur Seite, doch die Tigerkatze war verschwunden. Statt ihrer lachelte er einer ziemlich ernst dreinblickenden Frau mit Brille zu, deren Glaser quadratisch waren wie das Muster um die Augen der Katze. Auch sie trug einen Umhang, einen smaragdgrunen. Ihr schwarzes Haar war zu einem festen Knoten zusammengebunden. Sie sah recht verwirrt aus.
»Woher wu?ten Sie, da? ich es war?«, fragte sie.
»Mein lieber Professor, ich habe noch nie eine Katze so steif dasitzen sehen.«
»Sie waren auch steif, wenn Sie den ganzen Tag auf einer Backsteinmauer gesessen hatten«, sagte Professor McGonagall.
»Den ganzen Tag? Wo Sie doch hatten feiern konnen?
»Ich mu? auf dem Weg an mindestens einem Dutzend Feste und Partys vorbeigekommen sein.«
Verargert schnaubte Professor McGonagall durch die Nase.
»O ja, alle Welt feiert, sehr schon«, sagte sie ungeduldig. »Man sollte meinen, sie konnten ein bi?chen vorsichtiger sein, aber nein – selbst die Muggel haben bemerkt, da? etwas los ist. Sie haben es in ihren Nachrichten gebracht.« Mit einem Kopfrucken deutete sie auf das dunkle Wohnzimmerfenster der Dursleys. »Ich habe es gehort. Ganze Schwarme von Eulen… Sternschnuppen… Nun, ganz dumm sind sie auch wieder nicht. Sie mu?ten einfach irgendetwas bemerken. Sternschnuppen unten in Kent – ich wette, das war Dadalus Diggel. Der war noch nie besonders vernunftig.«
»Sie konnen ihnen keinen Vorwurf machen«, sagte Dumbledore sanft. »Elf Jahre lang haben wir herzlich wenig zu feiern gehabt.«
»Das wei? ich«, sagte Professor McGonagall gereizt. »Aber das ist kein Grund, den Kopf zu verlieren. Die Leute sind einfach unvorsichtig, wenn sie sich am hellichten Tage drau?en auf den Stra?en herumtreiben und Geruchte zum Besten geben. Wenigstens konnten sie Muggelsachen anziehen.«
Dabei wandte sie sich mit scharfem Blick Dumbledore zu, als hoffte sie, er wurde ihr etwas mitteilen. Doch er schwieg, und sie fuhr fort:»Das ware eine schone Bescherung, wenn ausgerechnet an dem Tag, da Du-wei?t-schon-wer endlich verschwindet, die Muggel alles uber uns herausfinden wurden. Ich nehme an, er ist wirklich verschwunden, Dumbledore?«
»Es sieht ganz danach aus«, sagte Dumbledore. »Wir mussen fur vieles dankbar sein. Mochten Sie ein Brausebonbon?«
»Ein was?«
»Ein Zitronenbrausebonbon. Eine Nascherei der Muggel, auf die ich ganz scharf bin.«
»Nein, danke«, sagte Professor McGonagall kuhl, als sei jetzt nicht der richtige Moment fur Zitronenbrausebonbons. »Wie ich schon sagte, selbst wenn Du-wei?t-schon-wer wirklich fort ist -«
»Mein lieber Professor, eine vernunftige Person wie Sie kann ihn doch sicher beim Namen nennen? Der ganze Unsinn mit ›Du-wei?t-schon-wer‹ – seit elf Jahren versuche ich die Leute dazu zu bringen, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen: Voldemort.« Professor McGonagall zuckte zuruck, doch Dumbledore, der zwei weitere Bonbons aus der Tute fischte, schien davon keine Notiz zu nehmen. »Es verwirrt doch nur, wenn wir dauernd ›Du-wei?t-schon-wen‹ sagen. ich habe nie eingesehen, warum ich Angst davor haben sollte, Voldemorts Namen auszusprechen.«
»Das wei? ich wohl«, sagte Professor McGonagall halb aufgebracht, halb bewundernd. »Doch Sie sind anders. Alle wissen, da? Sie der Einzige sind, den Du-wei?t-… ahm, na gut, Voldemort furchtete.«
»Sie schmeicheln mir«, sagte Dumbledore leise. »Voldemort hatte Krafte, die ich nie besitzen werde.«
»Nur weil Sie zu -ja – nobel sind, um sie einzusetzen.«
»Ein Gluck, da? es dunkel ist. So rot bin ich nicht mehr geworden, seit Madam Pomfrey mir gesagt hat, ihr gefielen meine neuen Ohrenschutzer.«
Professor McGonagall sah Dumbledore scharf an und sagte:»Die Eulen sind nichts gegen die Geruchte, die umherfliegen. Wissen Sie, was alle sagen? Warum er verschwunden ist? Was ihn endlich aufgehalten hat?«
Offenbar hatte Professor McGonagall den Punkt erreicht, uber den sie unbedingt reden wollte, den wirklichen Grund, warum sie den ganzen Tag auf einer kalten, harten Mauer gewartet hatte, denn weder als Katze noch als Frau hatte sie Dumbledore mit einem so durchdringenden Blick festgenagelt wie jetzt. Was auch immer »alle« sagen mochten, offensichtlich glaubte sie es nicht, bis sie es aus dem Mund von Dumbledore gehort hatte. Der jedoch nahm sich ein weiteres Zitronenbrausebonbon und schwieg.
»Was sie sagen«, drangte sie weiter,»ist namlich, da? Voldemort letzte Nacht in Godric's Hollow auftauchte. Er war auf der Suche nach den Potters. Dem Gerucht zufolge sind Lily und James Potter – sie sind – tot.«
Dumbledore senkte langsam den Kopf. Professor McGonagall stockte der Atem.
»Lily und James… Ich kann es nicht glauben… Ich wollte es nicht glauben… Oh, Albus… «
Dumbledore streckte die Hand aus und klopfte ihr sanft auf die Schultern. »Ich wei?… ich wei?… «, sagte er mit belegter Stimme.
Professor McGonagall fuhr mit zitternder Stimme fort:»Das ist nicht alles. Es hei?t, er habe versucht, Potters Sohn Harry zu toten. Aber – er konnte es nicht. Er konnte diesen kleinen Jungen nicht toten. Keiner wei?, warum, oder wie, aber es hei?t, als er Harry Potter nicht toten konnte, fiel Voldemorts Macht in sich zusammen – und deshalb ist er verschwunden.«
Dumbledore nickte mit dusterer Miene.
»Ist das – wahr?«, stammelte Professor McGonagall. »Nach all dem, was er getan hat – nach all den Menschen, die er umgebracht hat -, konnte er einen kleinen Jungen nicht toten? Das ist einfach unglaublich… ausgerechnet das setzt ihm ein Ende… aber wie um Himmels willen konnte Harry das uberleben?«
»Wir konnen nur mutma?en«, sagte Dumbledore. »Vielleicht werden wir es nie wissen.«
Professor McGonagall zog ein Spitzentaschentuch hervor und betupfte die Augen unter der Brille. Dumbledore zog eine goldene Uhr aus der Tasche und gab ein langes Schniefen von sich. Es war eine sehr merkwurdige Uhr. Sie hatte zwolf Zeiger, aber keine Ziffern; statt dessen drehten sich kleine Planeten in ihrem Rund. Dumbledore jedenfalls mu?te diese Uhr etwas mitteilen, denn er steckte sie zuruck in die Tasche und sagte:»Hagrid verspatet sich. Ubrigens nehme ich an, er hat Ihnen erzahlt, da? ich hierher kommen wurde?«
»Ja«, sagte Professor McGonagall. »Und ich nehme nicht an, da? Sie mir sagen werden, warum Sie ausgerechnet hier sind?«
»Ich bin gekommen, um Harry zu seiner Tante und seinem Onkel zu bringen. Sie sind die Einzigen aus der Familie, die ihm noch geblieben sind.«
»Sie meinen doch nicht – Sie konnen einfach nicht die Leute meinen, die hier wohnen?«, rief Professor McGonagall, sprang auf und deutete auf Nummer 4. »Dumbledore – das geht nicht. Ich habe sie den ganzen Tag beobachtet. Sie konnten keine zwei Menschen finden, die uns weniger ahneln. Und sie haben diesen Jungen – ich habe gesehen, wie er seine Mutter den ganzen Weg die Stra?e entlang gequalt und nach Su?igkeiten geschrien hat. Harry Potter und hier leben?«
»Das ist der beste Platz fur ihn«, sagte Dumbledore bestimmt. »Onkel und Tante werden ihm alles erklaren konnen, wenn er alter ist. Ich habe ihnen einen Brief geschrieben.«
»Einen Brief«, wiederholte Professor McGonagall mit erlahmender Stimme und setzte sich wieder auf die Mauer.
»wirklich, Dumbledore, glauben Sie, da? Sie all das in einem Brief erklaren konnen? Diese Leute werden ihn nie verstehen! Er wird beruhmt werden – eine Legende -, es wurde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag hei?t – ganze Bucher wird man uber Harry schreiben – jedes Kind auf der Welt wird seinen Namen kennen!«
»Genau«, sagte Dumbledore und blickte sehr ernst uber die Halbmonde seiner Lesebrille. »Das Wurde reichen, um jedem Jungen den Kopf zu verdrehen. Beruhmt, bevor er gehen und sprechen kann! Beruhmt fur etwas, an das er sich nicht einmal erinnern wird! Sehen Sie nicht, wie viel besser es fur ihn ware, wenn er weit weg von alledem aufwachst, bis er bereit ist, es zu begreifen?«